Der Song, der dich singt

oder das fortwährendes Umkreisen der Musik des Mythischen

Hier performt der Mann mit seinem Gefolge und kann nicht anders. Dr. Funky P.. Der Falsettigste unter den Falsettigen, der Stimmgewaltigste unter den Stimmgewaltigen, der Beseelteste unter den Beseelten, der Hüftgelenkigste unter den Hüftgelenkigen. Geistesverwandt mit fahrenden Bluessängern und – ehedem – trinkfreudigen irischen Dichtern.

In seinem fulminanten „Yarragh, Hit Me!“ – das ist das, was ein Musikkritiker einmal als eindringlichen und gequälten Laut beschrieben hat, den man in keltischen Songs finden könne, ein Schrei, in den sich Melancholie und Ekstase gleichermaßen eingeschrieben haben – klingen auch die tausend Geschichten, Shouts, Stimmen mit, die durch Dr. Funky P. hindurchgegangen sind. Von Muddy Waters über Ray Charles bis zu Bobby Byrd und Prince. Es ist ein wunderbarer Schauder, ein Durchgeschüttelt- und Durchgerütteltwerden, eine Epiphanie zuweilen. „Die entscheidende Frage ist“, sagte Dr. Funky P. mal, „ob der Song dich singt“.

Mit dem Gefolge – der „Gang“ – im Rücken und der charismatischen Sangespartnerin Mary an seiner Seite erlebt der Besucher eines „Questions?-Konzertes“ unbändige Soulpower ebenso wie feinfühligsten R’n’B. Spontane Verrücktheiten und reflektiertes Selbstbewusstsein stecken in diesen Events. In dem „Questions?-Universum“ vereint sich Lust und Leidenschaft, Hingabe und Demut. Es ist faszinierend, wie nah einem diese Musik, diese einzigartig alchimistische Mischung aus Blues und Latin, Jazz und Soul, geht, wie sie einen berührt, irgendwo da, wo man auch anfällig ist fürs Transzendente. Über die mittlerweile nahezu 30-jährige Bandhistorie kann man den „Questions?“ eine fortwährende Vertiefung und Verfeinerung konstatieren, ein nie endendes Umkreisen des Mythischen in der Musik.

Stets aber haben sich „Annie Questions?“ in ihren Songs mit Geistesverwandten verabredet – mit James Baldwin oder William Kotzwinkle, mit Robert Crumb oder Gilbert Shelton, mit Eddie Piller oder Gilles Peterson, mit Chet Baker oder James Brown –, die die alten Topoi der Sehnsucht zu langsam schwoofenden Downtempo-Vibes oder swingenden Midtempo-Stücken ebenso zelebrieren, wie in fulminant-heroische Uptempo-Jams das Sein an sich – tanzender Weise – hochleben zu lassen.

Im Opener des aktuellen Studioalbums bzw. der aktuellen DVD („Annie Questions? w/ Strings“) lukt der Sänger zu Christian Schegas tief atmenden Lesley-Organ-Intro bei Al Greens „Let’s Stay Togehter“ zunächst eher introvertiert um eine Straßenecke, eher er mit der Inbrunst eines Predigers die Welt – bzw. seine Lady –  E S  wissen lässt: „I’m So In Love With You …“. Alles wird gut, denn nur einen Augenblick später schließen ihn seine Buddies in die Arme, während im Hintergrund Drummer Tobias Schölles, Percussionist Geraldes Blondes und Bassist U.W.E. einen guten alten Motown-Groove – authentisch retroesk – initiieren.

„Wenn ich singe, singe ich Silben. Ich singe Zeichen und Phrasen.“ Das hat damit zu tun, wie Dr. Funky P. selbst einzelne Worte durch seine Phrasierung mit immenser Bedeutung aufladen kann. Wie die Songs in seiner Stimme und der Stimmung der Band aufgehoben sind, wie es letztlich nicht nur auf die Texte ankommt, sondern auf den Klang, den Sound an sich. „Wir arbeiten eigentlich immer dann mit Worten, wenn wir komponieren. Wenn wir damit fertig sind, befreien wir die Worte; und immer, wenn wir singen, singen wir Silben, Zeichen und Phrasen.“

Die Alben der „Questions?“ wurden und werden daher auch folgerichtig –„The Old Fashioned Way“ – aufgenommen, live im Studio oder gleich live On Stage. Man kann das hören, diesen Geist des Lebendigen, der insbesondere die Live-Performances charakterisiert.

Bei „Annie Questions?“ fließt all das organisch, natürlich zusammen. Und selbst in den Momenten, wo manchem das Wort Kitsch oder Pathos in den Sinn kommen könnte, ist da noch eine sanfte Erhabenheit. Wohl am deutlichsten zu erkennen ist dies in Marys sensitiv-kraftvollen Interpretation des Neneh Cherry Klassikers „Woman“: nicht bloß ein Song … ein Statement!

So ist das: „Syllables, Signs And Phrases, Grooves, Hits And Vibes“ – und da macht dem Grooveorchester so schnell keiner was vor. „Yarragh, Hit Me“!

Also nicht verpassen: am 30. April 2017, ab 20:30 Uhr in der Rheinschänke in Leimersheim. Karten gibts an der Abendkasse. Hinweis: Montag, der 1. Mai ist Feiertag, also genug Zeit zum Regenerieren nach einer durchtanzten Nacht…